Pharmakoepidemiologie

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Spontanmeldungen unerwünschter Arzneimittelwirkungen

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind auch in der perinatalen Zeit ein wichtiges Thema und weisen einige Besonderheiten bezüglich ihrer Identifizierung und Beurteilung auf.

Das Sicherheitsprofil von Arzneimitteln wird im Rahmen des Zulassungsverfahrens in präklinischen und klinischen Studien umfangreich untersucht und dokumentiert. Da klinische Studien allerdings nur an einer begrenzten Patientenzahl und nicht unter den realistischen Bedingungen der klinischen Praxis durchgeführt werden können, ist die Evaluation der Arzneimittelsicherheit mit der Erteilung der Marktzulassung noch nicht abgeschlossen. Nach der Markteinführung werden daher weitere Informationen zu in der klinischen Praxis auftretendenden unerwünschten Wirkungen gesammelt und kontinuierlich beurteilt. Für diese im Englischen auch als ‚postmarketing safety evaluation‘ genannten Aktivitäten stehen prinzipiell zwei Methoden zur Verfügung: 1. die Bewertung von spontanen Berichten zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen, und 2. pharmakoepidemiologische Studien.

Für die Beurteilung der perinatalen Arzneimittelsicherheit kommt dieser postmarketing safety evaluation eine ganz besonders wichtige Rolle zu, denn die im Rahmen der Arzneimittelzulassung durchgeführten klinischen Studien schliessen aus ethischen Gründen gewöhnlich keine schwangeren Frauen und Neugeborenen ein (und auch für Kinder ist eine klinische Prüfung vor Markteinführung erst in jüngerer Zeit regulatorisch vorgeschrieben). Obwohl viele Medikamente mangels Alternativen in diesen speziellen Patientengruppen verabreicht werden, sind optimale Dosierung, Wirkungen und Nebenwirkungen, und somit auch das Risiko-Nutzen-Verhältnis für den perinatalen Einsatz, daher gewöhnlich nur unzureichend bekannt.

Spontanmeldungen unerwünschter Arzneimittelwirkungen (Pharmakovigilanz)

Die meisten akuten und schwerwiegenden Arzneimittelnebenwirkungen wurden und werden auch weiterhin initial durch spontane Berichte von aufmerksamen behandelnden Ärzten und Patienten identifiziert. Für die weitere Beurteilung werden die gesammelten Informationen solcher spontanen Berichte gemäss standardisierter Richtlinien semiquantitativ nach der Wahrscheinlichkeit eines kausalen Zusammenhangs mit dem oder den betreffenden Arzneimittel(n) sowie dem Schweregrad der aufgetretenen Nebenwirkung beurteilt. Durch Sammlung und teilweise automatische Auswertung solcher Berichte in grossen Datenbanken (z.B. bei den nationalen Arzneimittelbehörden, der WHO in Schweden, und den Arzneimittelherstellern) sollen neue Sicherheitsprobleme möglichst schnell erkannt werden (sogenannte ‚Signalgeneration‘). Die weitere quantitative Beurteilung dadurch generierter Warnsignale wird allerdings dadurch limitiert, dass sowohl die Zahl der wirklich aufgetretenen Nebenwirkungsfälle (‚Zähler‘) als auch die Zahl der exponierten Patienten (‚Nenner‘) nur näherungsweise abgeschätzt werden kann. Zudem sind Spontanmeldesysteme prinzipiell schlecht geeignet, um Nebenwirkungen mit einer langen Latenzzeit oder mit einer unspezifischen Manifestation und hohen Hintergrundauftretensrate (das gilt z.B. insbesondere für Teratogenität) zu erfassen.

Aus den oben genannten Gründen sind allerdings Meldungen zu vermuteten unerwünschten Arzneimittelwirkungen nach perinataler Exposition von besonderem Interesse, und die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Perinatale Pharmakologie ist daher auch gut mit den entsprechenden Stellen vernetzt.

Vermutete unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei perinataler Exposition sollten daher unbedingt an ein regionales Pharmakovigilanzzentrum wie z.B. am Universitätsspital Zürich oder gegebenenfalls auch an den Swiss Teratogen Information Service in Lausanne gemeldet werden. Gelangen solche Meldungen zunächst an die SAPP, werden sie von dort ebenfalls an ein Meldezentrum weitergeleitetet. Die regionalen Pharmakovigilanzzentren beantworten Meldungen innerhalb kurzer Zeit mit einer schriftlichen standardisierten Kausalitätsbeurteilung gemäss den Kriterien der CIOMS/WHO und ggf. mit weiteren Therapieempfehlungen.

Pharmakoepidemiologische Studien zur Beurteilung der Arzneimittelsicherheit

Da Spontanmeldesysteme wie bereits erwähnt prinzipiell nicht für die quantitative Evaluierung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen geeignet sind, haben pharmakoepidemiologische Studien speziell in der perinatalen Pharmakologie ein grosses und bei weitem noch nicht vollständig genutztes Potential, um wichtige sicherheitsrelevante Informationen zu liefern. Solche ‚observationellen‘ Studien bauen auf dem Studiendesign von Kohortenstudien oder Fallkontrollstudien auf, und können heute sehr effizient in grossen automatisierten Datenbanken durchgeführt werden, deren Verfügbarkeit und Qualität für diesen Zweck in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat.

Bezüglich des Wirksamkeitsnachweises unterliegen epidemiologische Studien zwar bedeutenden Limitationen, gerade im Bereich der Arzneimittelsicherheit bieten sie aber auch entscheidende intrinsische Vorteile: sie repräsentieren die reale Pharmakotherapie in der klinischen Praxis, sie können eine grosse Anzahl von Patienten einschliessen, und sie können im Vergleich zu klinischen Studien schneller, flexibler und kostengünstiger durchgeführt werden. Zudem erlauben verbesserte Methoden des Studiendesigns und der Datenanalyse heute eine bessere Kontrolle von Störfaktoren.

Konsequenterweise fordern die Zulassungsbehörden heute daher oft schon im Rahmen des Zulassungsverfahrens die Planung pharmakoepidemiologischer Studien zur erweiterten Beurteilung der Arzneimittelsicherheit.

Von besonderer Relevanz sind in diesem Zusammenhang spezielle Populationen wie schwangere Frauen sowie Neugeborene und Kleinkinder. Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Perinatale Pharmakologie hat daher auch ein spezielles Interesse an perinatalen pharmakoepidemiologischen Studien und ist dementsprechend mit Institutionen vernetzt, welche solche Studien durchführen, wie z.B. die Klinik für Klinische Pharmakologie am Universitätsspital Zürich.

Zudem bietet die zunehmende elektronische Erfassung von Patientendaten mit elektronischer Medikamentenverschreibung die Möglichkeit auch im Rahmen kleinerer lokaler Projekte die perinatale Pharmakotherapie sowohl retrospektiv zu evaluieren als auch durch elektronische Hilfen bei der Verschreibung laufend zu überwachen und zu verbessern (‚electronic clinical decision support systems‘).

PD Dr. med Stefan Russmann